Es gibt Tage im Leben, die vergisst man nie. So dieser denkwürdige Samstag am 12. Mai 2018 in Novi Sad. Knapp nach 19 Uhr trat das Schweizer Frauen-Team seine letzte Etappe zum grössten Erfolg seiner Geschichte an. Dies nach zu Null Siegen gegen Mit-Favorit Kroatien, Schweden, Slowakei und Bulgarien.

Jetzt standen vor den Athletinnen nur noch wenige Minuten zur Krönung für viele Jahre des harten Trainings. Dazwischen das konsequente Teilnehmen an den Karate1 Turnieren. Immer konfrontiert mit der Tatsache, dass in diesem Land der Sport mit der beruflichen Karriere in Einklang zu bringen ist. Keine Berufssportlerinnen, aber meistens im Kampf gegen Sport-«Soldatinnen». Aber wie schon so oft im Kampfsport setzt sich schlussendlich die Intuition, das Genie im Augenblick des Moments durch. Optimierte Prozesse zwischen Auge, Arm- und Fussbewegungen.

 

Jeder Teamfight ist auch immer ein Kampf der Coachs um die richtigen Strategien (wer kämpft in welcher Reihenfolge) und Taktiken (wann offensiv, wann defensiv, wann Pressing, wann Risiko total). Hier in Novi Sad zwischen Loria Salvatore (Italien) und Franco Pisino. Der Schweizer Coach ausgezeichnet mit vier EM Bronzemedaillen, einer WM-Bronze, aber noch nie mit einem Finale. Première in Novi Sad. Italy Aka, Switzerland Ao.

Noémie Kornfeld, von Coach Pisino als erste Kämpferin gesetzt, zeigt den Kampf ihres Lebens gegen Clio Ferracuti. Eine erfolgreiche, starke Gegnerin mit zwei U21-EM Titeln, einem 2. Rang am Karate1 Series A Turnier 2017 in Toledo. Schon zweimal (2012/13) hatte Kornfeld Team-Bronze gewonnen. Jetzt hatte sie bereits Silber. Zu wenig um wirklich glücklich zu sein. Zu nahe am Ziel des grossen Titels.

3:2 heisst es am Schluss für Kornfeld, immer agil, variantenreich und hoch-fokussiert. Den Siegpunkt erzielt die Schweizerin vier Sekunden vor Schluss. Emotion pur nach dem Kampf. Platz nehmen auf der Bank neben Ramona Brüderlin, der Puls hoch. Auch beim Coach und allen Schweizer Team-Mitgliedern in der Halle und den vielen Fans live am Bildschirm zu Hause. Zuckende Körper auf Stühlen, im Stehen, irgendwo an diesem Sonntag, dem 12. Mai 2018. Alle Nerven bis zum äussersten angespannt.

Somit steht es 1:0 für die Schweiz, der Titel zum Greifen war. Nun ist Elena Quirici, am Morgen zum zweiten Mal Europameisterin geworden, bereit zum Kampf gegen Laura Pasqua. Eine erfahrene Kämpferin als Siegerin der Karate1 Premier League Turniere von Salzburg 2015/11, einer WM-Bronzemedaille 2014 und 2 EM-Silbermedaillen 2011 (hinter Diana Schwab) und 2010. Für Spannung ist gesorgt. Der Traum umgesetzt in die Realität des Könnens, des unbändigen Willens, bereit für den grossen europäischen Erfolg. Zwei Minuten entfernt. Nur noch auf die Gegnerin konzentriert, keine anderen Gedanken. Planet Tatami, 8×8 Meter. WKF-approved.

Bei noch 1.11 Minuten verbleibender Zeit geht Quirici mit einem ultraschnellen Konter-Tsuki in Führung. Keine Chance zum Wegdrehen für Pasqua. Auf den Bänken fast kein Halten mehr. Der TV-Kamera-Mann zeigt Bilder von Ramona und Noémie. Herzrasen, hoher Blutdruck – nahe am orangenen Bereich.

Auf den Tatamis gibt es verschiedene Verwarnungen (Klammern) gegen Pasqua und Quirici. Die Italienerin muss take to the risks, so der ehemalige Nationalcoach und heutiger WKF-Kommentar Dominique Sigillo live. Dann gleicht Pasqua 43 Sekunden vor Schluss aus. Der Adrenalinspiegel steigt. Vier Sekunden vor Schluss noch ein Keikoku gegen Quirici. Dann 3,2,1,0. Der ganze Kampf eine taktische Meisterleistung. Schluss. Aus. Gold.

Brüderlin und Kornfeld rennen auf die Tatami. Das Team umarmt sich. Dann kommt Pisino dazu. Schweizer – mit süditalienischen Wurzeln, Temperament. Die Schiedsrichterin ermahnt zur abschliessenden Grusszeremonie. Wird ausgeführt. Dann brechen alle Dämme. Die Live-Aufnahmen gehen um die Karate-Welt. Die Clips von Boris Radjenovic sind für die Ewigkeit. Sie werden alle Beteiligten und Fans ein ganzes Leben begleiten und an die magischen Momente in Novi Sad erinnern. Die Schweizer Frauen sind Europameisterinnen 2018. Der erste Titel für ein Schweizer Team überhaupt.


Nationaltrainer Franco Pisino im Augenblick seines grössten Triumphs

Es folgt die Siegerehrung mit den drittplatzierten Kroatinnen und Französinnen. Gold für Nina Radjenovic (U21 Europameisterin, erstmals für das Elite-Team qualifiziert), Ramona Brüderlin, Noémie Kornfeld, Elena Quirici. EKF-Generalsekretär Stjepan Celan übergibt den goldenen Pokal. Die Nationalhymne der Schweiz erklingt. Alle mit der Hand aufs Herz. Das Swiss Team im Publikum singt mit. Eingefangen von der Kamera Michelle Saner, David Baumann, Melinda Mark und Yuki Uijara. Novi Sad in Schweizer Hand.


Noémie ringt um Fassung. Tränen der Freude. Realisieren werden es alle viel später. Egal was in ihrem Leben kommt – sie wurden an diesem 12. Mai 2018 überragende Europameisterinnen.


Noémie Kornfeld kann wieder strahlen, am Morgen noch verlor sie ihren Bronzekampf -61 kg, dann bereitete sie mit ihrem Sieg den Weg zur Goldmedaille. V.l.n.r.: Radjenovic, Kornfeld, Quirici und Brüderlin

Das Umfeld:
Wie immer ist es wichtig. Alles muss stimmen. Danke an: Marianne Furrer und Hotelplan Sursee für die wie immer administrative Top-Organisation von Hotel, Flügen und Transporten ab Airport. Danke an Viktor Geiger für die termingerechten Zahlungen, Daniel Humbel für seine persönlichen Motivationsschreiben an die Kadermitglieder. Danke auch an David Baumann und Brigitte Quirici für ihre Präsenz und Betreuung vor Ort sowie dem erstmals im Einsatz stehenden Physiotherapeuten Mitko Bogoev.

Und: Maya Schärer (Gratulation zum 9. Schlussrang bis 55 kg), Melinda Mark, Yuki Ujihara, Noah Pisino, Salim Tawfik, Julian Shane, Nationaltrainerin Kata Michelle Saner und die mitgereisten Eltern Schärer, Radjenovic und Ujihara. Für alle ist jede Meisterschaft immer auch ein Lernfeld, ein Reflektieren und Ausgangslage für die nächsten grossen Turniere. Zuerst aber ist Feiern angesagt. Heute Montag, 14. Mai 2018, 1630 Uhr, Airport Zürich, Ankunftshalle 2.

EKF EM 2018 Novi Sad Medaillenspiegel
EKF EM 2018 Novi Sad Rangliste

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Ein grosser Dank auch an den nationalen Sportförderer Nr. 1, die Sport-Toto-Gesellschaft (STG). Ihre Gelder finanzieren auch die Leistungssport-Aktivitäten der Swiss Karate Federation massgebend. Die STG vertritt auch die Anliegen der beiden Lotteriegesellschaften Swisslos und Loterie Romande im Sport.

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